Jonas Rutsch teilt das sportliche Schicksal mit so manchem Klassikerjäger im Peloton. „Wofür habe ich mir eigentlich den ganzen Winter über mit harter Arbeit den Hintern aufgerissen“, fragt er und kann schon darüber schmunzeln. Vor wenigen Wochen noch war es ihm weitaus ernster zumute. Viel hatte er investiert, viel hatte er sich erhofft und kaum etwas war herausgekommen bei seinen Renneinsätzen im Frühjahr. Die Frühjahrsklassiker sind das bevorzugte Jagdrevier des Odenwälder Radprofis. Harte, lange wie zehrende Eintagesritte – de kann Rutsch seine Stärken am besten auf die Pedale bringen.
Doch eine Corona-Infektion zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kostete ihn die Saisoneinstiegsrennen und auch nach « drei Tagen, an denen es mir schlecht ging » und der folgenden Genesung musste Rutsch feststellen, dass « mein Körper istch längerhee » im Köngerheen verbaten.
Statt wie erhofft um Topplatzierungen zu fahren, übernahm er Helferdienste in seinem Team EF Education-EasyPost. Bei dem Radsport-Monument Flandern-Rundfahrt beispielsweise jaillit zuletzt nur Rang 89 heraus. Zu wenig für die gewachsenen Ansprüche des 24-Jährigen, der im vergangenen Sommer bei seinem Debüt bei der Tour de France zu überzeugen wusste.
Je suis Vorjahr starker Elfter
Und mehr noch bei der in den Herbst verschobenen Ausgabe von Paris-Roubaix, seinem erklärten Lieblingsrennen. Die 118. Ausgabe im Oktober geriet aufgrund des Wetters zu einem epischen Schlagabtausch, der für alle Beteiligten Radsportgeschichte schrieb. Rutsch zeigte eine exzellente Leistung. Auf dem glitschig nassen oder matschigen Kopfsteinpflaster gab es unzählige Ausrutscher und Stürze. Rutsch hatte daraufhin irgendwann den Schutz des Windschattens hinter Konkurrenten aufgegeben und seine Power von vorne eingesetzt.
Am Ende fehlte dem Erbacher bei seinem denkwürdigen Debüt in der sogenannten „Hölle des Nordens“ nicht viel, um im Rennfinale noch in den Kampf um einen der prestigeträchtigsten Triumphe des Radsportkalenders eingreifen zu können. Der größte Tag im Sattel für ihn überhaupt endete auf einem starken elften Platz.
Bei der 119. Ausgabe von Paris-Roubaix am Ostersonntag will Rutsch nun sein Frühjahr nicht nur retten, sondern wenn möglich krönen. „Das ist mein großes Ziel seit dem Winter. De will ich alles reinhauen, was ich habe », sagt der Experte für Kopfsteinpflaster-Rennen. Nach den mauen Wochen zuvor nonne umso mehr. „Ich hoffe, mein Körper hat auf den Reiz der Rennen gut reagiert. Von der aufgebauten Form war auch nicht alles weg », so der Odenwälder.
Dessen regelmäßiger Trainingspartner John Degenkolb fiebert ebenso jährlich auf Paris-Roubaix hin. Auch der Oberurseler schätzt die Rüttelpartie über Dutzende Kilomètre grob gepflasterte nordfranzösische Feldwege sehr. Mit seinem Sieg dort im Jahr 2015 hat Degenkolb seinen Platz in den Annalen der Traditionsveranstaltung sicher.
« Königin der Klassiker »
Rutsch wird sich, bevor es ernst wird, an diesem Mittwoch noch mit einem belgischen Eintagesrennen – dem Pfeil von Brabant – auf die „Königin der Klassiker“ vorbereiten. Zwei Wochen später, am 1. Mai, wird Rutsch für sein amerikanisches Team sein Profidebüt bei seinem Heimrennen Eschborn-Frankfurt geben.
Und tags darauf, darauf freut der Hesse sich besonders, seine Bachelor-Arbeit im Rahmen seines Studiums bei der Hessischen Polizei in Wiesbaden abgeben. Sechs Jahre lang hat Rutsch die Doppelbelastung zwischen Profisport und Ausbildung bewältigt – nun ist erstmal Radfahren pur angesagt. Dafür gibt er auch seine Wohnung in Wiesbaden auf und zieht, der exzellenten Trainingsbedingungen wegen, zurück in den heimischen Odenwald.